Donnerstag, 3. November 2022

Ein erneutes Wiedersehen mit dem Gerenpass / Chüebodengletscher

Wer hätte 2014, als wir zum ersten Mal zum Gerenpass (2'670m) hochstiegen, gedacht, dass dieses Gebiet einmal ein so berühmter Fotospot werden würde? Damals haben wir in mühseliger Handarbeit noch zwei Biwakplätze von Felsbrocken befreit, um überhaupt da oben übernachten zu können. Mittlerweile tummeln sich auf dem Pass pure Massen von Tagesausflüglern, Naturfotografen und ist man auch in der Nacht nur noch selten allein.

Zum letzten Mal haben wir den Gerenpass und den Chüebodengletscher im Jahr 2018 aufgesucht. In diesem September ist die Neugierde gross genug, um den Ort wieder einmal zu besuchen. Diesmal nehmen Andi Wipf und ich (Stef) die Route von All' Aqua in Angriff. Bei schönstem Wetter steigen wir steil zur Pianseccohütte auf. Die Sonne brennt in die Südflanke, welche über der Waldgrenze immer unwegsamer und "gerölliger" wird. Erste, bunte Herbstfarben verzaubern uns. Der Aufstieg zehrt jedoch an den Kräften. Weit oben treffen wir noch auf eine blutende, gestürzte Wandrerin und versuchen ihr erste Hilfe zu leisten. Sie ist hingefallen, weiss nicht mehr wie das passiert ist und hat Glück gehabt, nicht durch das steile Geröllfeld abgestürzt zu sein. Junge Wanderer kommen uns von oben entgegen und übernehmen den Fall. Später erfahren wir, dass es sich um eine ältere Eisschwimmerin handelt, welche regelmässig hier oben badet! Selbst müssen wir stets aufpassen, dass uns die schweren Rucksäcke nicht rückwärts überziehen.

Jetzt, am Nachmittag kommen uns von oben immer mehr Leute entgegen, teilweise mit zweifelhafter Ausrüstung und sogar mit Kleinkindern im Rucksack! Ausser Atmen kommen wir endlich oben an und staunen nicht schlecht. Riesige Eisberge bedecken den See des Chüebodengletschers. Wow! Dass es so etwas bei uns in der Schweiz gibt! Gerade verlassen die letzten Tagesausflügler den Pass und wir stellen unsere schweren Rucksäcke ab. Später erfahren wir, dass gerade vor wenigen Tagen wieder ein riesiger Teil des Gletschers unterspült wurde und die Eisberge tosend ins Wasser abbrachen. Was für ein Glück für uns. Am Nachmittag befindet sich die Szenerie aber leider im Gegenlicht, also mehr zum Staunen als zum Fotografieren. Wir stellen schonmal unser Biwakzelt auf und machen es uns gemütlich. Wahnsinn, was im Vergleich zum Jahr 2014 noch vom Gletscher übriggeblieben ist. Man kann sagen, es ist nur noch ein "Nichts". (Siehe untenstehendes Vergleichsfoto aus dem Jahr 2014, mit dem glühenden Himmel.)

Gegen Abend sind wir doch tatsächlich alleine hier oben, kraxeln an der Südflanke des Chüebodenhorns etwas höher und verschaffen uns einen besseren Überblick. Dabei entstehen einige schöne Stimmungsfotos, leider jedoch ohne Wolkenstimmung. So fotografieren wir bis zum Einnachten, bevor wir uns ins gemütliche Zelt legen und friedlich, völlig in der Stille und Einsamkeit, einschlafen.

Am nächsten Morgen sind wir bereits wieder früh um und auf dem Gletscher unterwegs. Andi will noch auf's Chüebodenhorn (3'070m) steigen und ich widme mich zwischenzeitlich ganz der aufgehenden Sonne mit den Eisbergen. Die Bildgestaltung ist recht herausfordernd mit den Schatten und den dicht aneinander liegenden Eisbergen. Das offene Wasser ist über Nacht zugefroren: also doch eine rechte Kälte hier oben. Bis gegen Mittag dokumentieren wir das Gebiet um den sterbenden Gletscher, bevor wir unser Lager abbauen und müde, aber glücklich wieder gegen Piansecco absteigen. Wiederum gilt es Acht darauf zu geben, dass man nicht hinfällt. Unterwegs kommen uns diverse Wanderer und Fotografen entgegen. Nach einer Rast und einem Imbiss in der neuen, wunderschönen Pianseccohütte, machen wir uns dann auf den Heimweg.

Wir wissen nicht, ob wir noch einmal an diesen Ort kommen wollen oder können. Viele schöne Erinnerungen an das "Island der Schweiz" werden wir jedoch immer in unseren Herzen tragen.

TOURDATEN
Aufstieg: 1'060m
Abstieg: 1'060m
Strecke: 7km
Reine Wanderzeit: 4,0h
Tiefster Punkt: 1'612 M.ü.M. (All' Aqua)
Höchster Punkt: 2'700 M.ü.M. (Chüebodengletscher)
Schwierigkeit: T4
Swisstopo Karte: 1:25:000, Blatt 1251, Val Bedretto
Beste Wanderzeit: Juli-September
Unser Tourdatum: 11.-12.09.2022
Besonderes: Es gibt jetzt sogar ein spannendes Büchlein von Giovanni Kappenberger (Glaziologe) über den Chüebodengletscher. Momentan ist es nur auf Italienisch verfügbar, ist jedoch in Kürze auch in Deutsch zu haben.

















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